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REZENSION: Silke Dangel, Konfessionelle Identität und ökumenische Prozesse. Analysen zum interkonfessionellen Diskurs des Christentums. Berlin/Boston: Walter de Gruyter 2014.

von Rahel Pereira

Konfessionelle Identität und ökumenische Prozesse. Analysen zum interkonfessionellen Diskurs des Christentums möchte aus einem neuen Blickwinkel die Konstitution konfessioneller Identitäten betrachten, um so gelingende Wege ökumenischer Arbeit aufzuzeigen. Die Monographie stellt die leicht überarbeitete Fassung der Dissertation dar, mit der die evangelische Theologin Silke Dangel unter Betreuung der Ökumenikerin Prof. Dr. Friederike Nüssel 2013 in Heidelberg promoviert wurde.

Aus den Beobachtungen zur Geschichte der Ökumene seit dem vergangenen Jahrhundert entwickelt Dangel zunächst ihre Fragestellung (Kap. 1.): Standen zu Beginn der ökumenischen Bewegung Harmonisierungstendenzen im Vordergrund, so folgte diesen zunächst das Bedürfnis konfessioneller Selbstbehauptung, bevor schließlich die konfessionellen Differenzen betont wurden. Wie ist diese Entwicklung systematisch-theologisch zu verstehen? Ausgehend von der zentralen These, dass sich die Zukunft der Ökumene an einem differenzierten Begriff konfessioneller Identität entscheidet, der sich in der Dynamik von „Bewahrung und Bewährung“ (5; 16; 353) charakterisieren lässt, setzt sich die Autorin zum Ziel, diesen ökumenisch verantwortet zu reflektieren.

Für eine methodische Grundlage diskutiert sie zunächst einen von Carolin Emcke vorgelegten kulturwissenschaftlichen Ansatz zur Definition kultureller kollektiver Identitäten (Kap. 2). Die analytische Stärke dieses Ansatzes bestehe darin, dass er eine Alternative zum Dualismus bietet, Identitäten entweder als statisch oder konstruktivistisch verstandene Größen zu fassen. Stattdessen werden sie als offene Entitäten gesehen, die ihre Bedeutung im Reflektieren und Darstellen der eigenen Geschichte aktualisieren und in die stets Selbst- und Fremdzuschreibungen einfließen (vgl. 40–49). Zum Fortbestand einer solchen Identität müsse der Prozess kritischer Hinterfragung und darauf folgender Selbstverständigungsdiskurse immer wieder ausgehandelt werden. Konfessionelle Identitäten seien daher nicht ahistorisch und (re-)konstituierten sich im Rahmen von ökumenischen Gesprächen und in innerkonfessionellen theologischen Reflexionen. Der originelle theologische Beitrag Dangels besteht darin, diese Theorie konsequent um die Frage nach dem Wahrheitsanspruch zu ergänzen: Konfessionelle Identität müsse immer als auf ein rechtes Verständnis des christlichen Wahrheitsanspruches bezogen betrachtet werden (vgl. 56–62).

Die methodische Umsetzung dieser  theologisch-kulturwissenschaftlichen Definition von konfessionellen Identitäten erfolgt im Hauptteil. Hier untersucht Dangel beispielhaft ökumenische Dialogdokumente auf die Struktur konfessioneller Identitätsdynamiken hin: Zum einen ausgewählte Dokumente (vgl. 79) aus verschiedenen Phasen zum lutherisch-katholischen Diskurs, zum anderen Dokumente des katholisch-pfingstlichen Dialogs (vgl. 264-277) bzw. solche aus der Zusammenarbeit des ÖRK und der Pfingstbewegung (vgl. 277-293). Zur Auswertung zieht sie einen am Ende des zweiten Kapitels erstellten Leitfragenkatalog hinzu.

In einer sorgfältigen diachronen und synchronen Analyse des (inter-)national geführten lutherisch-katholischen Dialogs zum Spannungsfeld von Soteriologie und Ekklesiologie (Kap. 3) arbeitet Dangel überzeugend heraus, dass die Konflikte, die nach der Veröffentlichung der #Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER, 1999) bezüglich unpräziser Formulierungen aufbrachen, einem unterdrückten konfessionellen Selbstverständigungsdiskurs geschuldet waren. Dieser überlagerte sich schließlich mit dem ökumenischen Gespräch zur GER.

Besonders erhellend ist die Aufarbeitung und Systematisierung des pfingstlich-katholischen Gesprächs zwischen der katholischen Kirche, dem ÖRK und einzelnen pfingstlichen Theologen unter dem Fokus „pfingstliche[…]r Identitätskonstitution“ (248) (Kap. 4). Dangel bestimmt hier die Ekklesiologie als zentralen Konfliktpunkt zwischen Pfingstkirchen und etablierten Konfessionen. Der Dialog habe im Vergleich zum lutherisch-katholischen Gespräch eine Eigendynamik entwickelt: In der Abarbeitung an einer klar definierten katholischen Position findet die Autorin zunächst eine „Theologisierung“ (243; 263), durch die eine erste Ausformulierung konfessioneller Identität auf pfingstlicher Seite stattgefunden habe; mithilfe eines vom ÖRK zur Verfügung gestellten konzeptionellen ekklesiologischen Rahmens, dem Koinonia-Modell, seien im Anschluss daran innerpfingstliche Gespräche zur Verständigung über pfingstliche Identität möglich gewesen. Ökumenische Konsensaussagen hingegen hätten hier (noch) keine zentrale Rolle gespielt. Damit attestiert Dangel dem Dialog den Charakter eines Selbstverständigungsdiskurses, der durch Einfluss äußerer Entwicklungen angestoßen wurde.

In Kapitel 5 werden sodann die Dynamiken analysiert, die die zwei untersuchten, unterschiedlich gelagerten Diskurse prägen. Eine Vergleichbarkeit begründet die Autorin in mit dem in Kapitel 2 entwickelten Fragenkatalog, der nun mit Blick auf Ähnlichkeiten und Unterschiede im Konstitutionsprozess konfessioneller Identität minutiös abgearbeitet wird. Das ökumenische Gespräch fände demzufolge im Ringen um die konfessionelle Wahrheitsansprüche statt, die sich in der jeweiligen konfessionellen Identität in theologischen Traditionen, Frömmigkeitspraxis etc. konkretisierten. Gleichzeitig bezögen sich die Diskursteilnehmer als Grundlage ökumenischer Arbeit auf die ihnen vorausliegende, „gemeinsam bejahbare Wahrheit“ (330), wodurch eine jeweilige Anerkennung des anderen als Christ erfolge.

In einer Schlussbetrachtung (Kap. 6) zeigt Dangel somit, dass – will ökumenische Arbeit gelingen – es von fundamentaler Bedeutung ist, konfessionellen Selbstverständigungsdiskursen mehr Raum als bisher einzuräumen. Nur so ließe sich ein gemeinsam erarbeiteter ökumenischer Konsens in das eigene konfessionelle Verständnis zurückführen. Kurz: Es brauche eine „Ausbalancierung zwischen ökumenischer und konfessioneller Identität“ (341), die niemals in der konfessionellen Auflösung bestehen kann, sondern sich im gefundenen Konsens erweist.

Die Arbeit zeichnet sich durch eine hohe fachliche Qualität aus, die sich besonders daran zeigt, dass bei der sorgfältigen Analyse der Quellen die eingangs aufgestellte These konsequent berücksichtigt wird. Leider sind die in Kapitel zwei generierten und dann implizit zu Grunde gelegten Leitfragen für die Leserin in der Darstellung des dritten und vierten Kapitels nur schwer nachvollziehbar, auch wenn sich diese für eine strukturierte Untersuchung der Dialogdokumente als geeignet erwiesen haben mögen. Unklar bleibt auch, wie die Autorin in ihrer Definition der Pfingstbewegung (vgl. 252-254) die Kategorie ‚pfingstlich’ ins Verhältnis zu diversen charismatischen Gruppierungen setzt, die innerhalb der katholischen und protestantischen Kirchen Einzug hielten. Hier hätte sich die Rezensentin eine differenziertere Auseinandersetzung gewünscht, die nicht nur dabei stehen bleibt, die charismatischen Strömungen unter den Begriff pfingstlicher Frömmigkeit zu subsummieren, sondern ernsthafte Konsequenzen aus der Tatsache zieht, dass die Statistiken zum Weltchristentum und die Forschungsgemeinschaft charismatische Strömungen als konstitutiv für den Pentekostalismus-Begriff betrachten. Wenn nun auch die von Dangel traktierten Vertreter durch die Linse dieses inklusiven Verständnisses betrachtet werden, muss es darum gehen, gerade mit Blick auf ökumenische Untersuchungen, stärker von einer Verflechtung auszugehen. Leider scheint die Autorin auch kein Interesse an der Frage zu haben, inwiefern sich pfingstliche Theologen zu dem von ihr zu Grunde gelegten kulturwissenschaftlichen Identitätsverständnis positionieren, obgleich kulturwissenschaftliche Ansätze in weiten Teilen der Pfingstforschung zunehmend Rezeption gefunden haben (z. B. Anderson, Bergunder, Droogers & van der Laan, Studying Global Pentecostalism Theories and Methods, Berkley, 2010). Dabei wäre dies doch gerade hilfreich für die Frage, wie sich Pentekostale zur These verhalten, dass ihre im ökumenischen Dialog artikulierte ‚konfessionelle Identität’ den Gesprächsrunden nicht bzw. lediglich bedingt vorzeitig gewesen sei, sondern durch diese erst gebildet wurde. Ferner wäre ein sorgfältigeres Lektorat wünschenswert gewesen. Der Autorin ist in ihren Gedankengängen sowie sprachlich gut zu folgen; durch inhaltliche Vorgriffe und prinzipiell begrüßenswerte Zwischenzusammenfassungen erscheinen manche Argumentationsgänge jedoch redundant. Auch ein verschlankter Fußnotenapparat hätte die Lesbarkeit gesteigert. Ungeachtet dieser Aspekte liegt mit Dangels Buch jedoch eine gelungene Untersuchung vor, die endlich auch ausführlich die weltweit wachsende pfingstliche Christenheit in den Blick nimmt und somit die Fruchtbarkeit ökumenischer Verständigungsgespräche erhöhen kann.

ISBN: 978-3-11-034375-5
X, 374 Seiten (Hardcover)
Preis: €109,95 €
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Zuletzt verändert: 30.12.2017 12:47